Einer meiner Glaubenssätze ist „Go with the flow“. Ich bin damit in meinem Leben gut gefahren, besser: geströmt. Viele wichtige Erfahrungen und viele Menschen haben auf diese Weise mein Leben bereichert und mich auf weitere inspirierende Wege geführt. Im Rückblick macht es mich besonders glücklich zu erkennen, wie sich viele Dinge regelrecht fügten.
Häufig frage ich mich aber dabei, ob ich den richtigen Bezug herstelle oder um im Bild zu bleiben: Nimmt mich gerade ein reißender Fluss mit oder handelt es sich hier eher um einen kleinen Gebirgsbach, der so ein bisschen vor sich hindümpelt? Bleibe ich in diesen Gewässern oder wage ich mich – vielleicht mit ein paar konzentrierten Schwimmzügen – bei der nächsten Flussmündung in Richtung offenes Meer? Was ist die richtige Entscheidung? Und habe ich überhaupt Zeit, es mir zu überlegen?
Letztes Jahr habe ich nach 6 Jahren meine sichere Anstellung als Leiterin des Gründungszentrums der Hochschule Heilbronn aufgegeben. Dieser Job war eine dieser besonderen Fügungen im Leben. Er war sozusagen absolut richtig in dieser Zeit meines Lebens (aber das ist eine andere Geschichte). Ich war gekommen, um die Gründungs- und Innovationskultur zu befördern und freute mich darauf, meine Erfahrungen aus der Beratung innerhalb eines Systems anzuwenden. Mein Team und ich hatten in dieser Zeit einiges auf die Beine gestellt – und auch eine gute Zeit miteinander verbracht. Ich ging mit dem Gefühl von Dankbarkeit für eine wertvolle Zeit. Aber auch mit der Gewissheit, dass es jetzt richtig ist, die nächste Flussbiegung zu nehmen. Für diesen Schritt habe ich 2 Jahre gebraucht.
Meine Zweifel wuchsen in dieser Zeit. In meiner Arbeit wurde mir zunehmend klar, dass Gründungen nicht mehr in der alten Logik vollzogen werden dürfen, wenn wir guten Gewissens die Welt von morgen mitgestalten wollen. Dass, wenn wir die Augen offenhalten, bei allem immer die große Frage im Raum steht: Ist es richtig, was wir da tun? Welche Wirkung haben unsere Entscheidungen und unser Handeln? Was bewirken wir in dieser Welt, in der wir einerseits unserem persönlichen Lebensstrom folgen wollen, andererseits aber gebettet sind in eine Welt, die immer größer geworden ist und in der wir immer mehr wahrnehmen, wie verflochten alles miteinander ist.
Meine große Frage war: Wollen wir die Geschichte der Wirtschaft so weitererzählen?
Die Antwort war schnell da, die Wirkung meiner Erkenntnis aber auf die Studierenden beschränkt, die bei uns in Lehrformaten saßen oder eine Beratung einholten. Eine systemische Wirkung im Bildungssystem erschien mir aufgrund fehlender akademischer Titel unmöglich, dies überließ ich gerne meiner Partnerin-in-Crime, Prof. Dr. Bettina Merlin, die den Masterstudiengang Entrepreneurship an der Hochschule leitet. Seither forschen wir gemeinsam am Thema „Responsible Entrepreneurship“ – auch über meine Hochschulzeit hinaus.
Es ist mehr als schwer, annähernd zu umfassen, welche Wirkung unser Verhalten hat – was wirklich „richtig“ ist auf der großen Skala der systemischen Wirkung. Und es ist anstrengend, sich ständig damit zu beschäftigen und alle Faktoren in Betracht zu ziehen – gerade in einer Welt, in der die Krisen sich nicht mehr nur die Klinke in die Hand geben, sondern sich zu Multikrisen mit sich gegenseitig dynamisierenden Effekten entwickeln. Aber es ist nicht unmöglich, eine individuell funktionierende Lösung zu finden – einen Weg zu finden, auf dem die eigene Wirkung mit der eigenen Wirksamkeit in Passung findet.
Gerade für Menschen, die Einfluss haben, sei es durch ihre Position und ihre Privilegien oder allein durch ihren finanziellen Status, ist es von besonderer Bedeutung, sich diesem Thema bewusst zu stellen. Ihr Handeln und ihre Entscheidungen entfalten potenzierte Wirkung. Mit dem Einfluss kommt auch die Verantwortung. Und dabei zu helfen, dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist nun „das Richtige“ für mich. Wo auch immer es mich hinströmert, äh, führt.
